Die Hausschlachtung
Bis weit in die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein gehörte in ländlich geprägten Gemeinden wie Plankstadt die Haltung eines Hausschweins bei den Hausbesitzern einfach dazu.
Die Grundstücke waren so bebaut, dass dies auch problemlos möglich war: Im Hof gab es einen Schweinestall, ein Mistloch mit danebenliegendem Plumpsklo und - meist über dem Schweinestall einen kleinen Schopf ("ä Scheppele"), auf dem das Stroh für die Stalleinlage gelagert wurde.
Die meisten Arbeiter, die nicht Landwirte waren, betrieben neben ihrem Hauptberuf eine kleine Nebenerwerbslandwirtschaft mit einem oder zwei kleinen Äckern in der Feldflur; oft waren es gemeindeeigene Grundstücke, die nach dem Bürgerrecht den Ortsbürgern unentgeltlich zur Verfügung standen, die sogenannten "Rottstücker" (der Jahrgang 1902 war der letzte Geburtsjahrgang, der in den Genuss dieses Bürgerrechts kam), oder es wurden kleine Streifen von einem Bauern gepachtet. Verkauft wurden diese angepachteten Grundstücke eher selten, da die Landwirte meist einen guten Riecher für späteres Bauerwartungsland hatten und dann stiegen ja diese meist ortsnahen Flurstücke enorm im Wert.
Man kann sich das in heutiger Zeit nur schwer vorstellen: Da arbeitete ein Arbeiter den ganzen Tag in der Fabrik oder im Schwetzinger Bundesbahn-Ausbesserungswerk, hatte um 17 Uhr Feierabend, fuhr dann mit dem Rad nach Hause und begab sich, nachdem er seine Gerätschaften wie Hacke, Rechen, Sense, Sichel oder Harke (Kratzer) gerichtet hatte, zur Feldarbeit hinaus in die Plankstädter Flur. In den seltensten Fällen hatte er spezielle größere Feldbearbeitunsgeräte, denn er hatte ja kein Zugpferd und waren sie für bestimmte Arbeiten unumgänglich, musste er einen ihm bekannten Landwirt um Hilfe bitten. Dieser spannte dann sein Pferd ein und bearbeitete den Acker des Kleinbauern. Sowohl im Frühjahr bei der Vorbereitung des Ackers als auch bei der Ernte mussten diese Freundschaftsdienste in Anspruch genommen werden - man war also auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen eines bekannten Landwirts angewiesen und es war auch selbstverständlich, dass man diesem dann bei dessen Ernte auch als Helfer zur Verfügung stand. Das Haupttransportmittel des Kleinstlandwirts war das Feldwägele, mit dem Saatgut im Frühjahr oder Ernteerzeugnisse im Spätjahr transportiert wurden - bis weit hinaus in die Gewannen Kleinfeld, Jungholz, Eimerbusch, Gehre und wie sie alle hießen.
Doch zurück zur Hausschlachtung:
Das Schwein als Allesfresser entsorgte natürlich alle Küchenabfälle auf natürlich Weise, zusätzlich waren Kartoffeln für die Aufzucht erforderlich, die in der Küche gekocht werden mussten. Mit etwas Glück erreichte das Schwein, dessen Stall natürlich täglich ausgemistet und mit frischem Stroh versorgt wurde, gegen Ende des Jahren die Schlachtreife mit einem Gewicht ab 150 kg, manchmal sogar bis über 200 kg. Die Aufzucht musste natürlich so erfolgen, dass diese Schlachtreife möglichst zur Winterszeit erreicht wurde, denn es gab in jener Zeit ja noch keine elektrischen Kühlmöglichkeiten in den Haushalten und bei kalter Witterung hielten sich die Schlachtergebnisse natürlich besser als bei sommerlicher Hitze. Haltbarmachung war nur durch Räuchern oder Pökeln oder, wie bei der Wurst, in Dosen möglich.
Wurde also das Hausschwein als schlachtreif empfunden, sagte man dem Hausmetzger seines Vertrauens Bescheid und dieser nannte dann einen Tag, an dem er Zeit hatte. Hausmetzger war früher ebenfalls meist ein Nebenberuf, denn da nur im Winter geschlachtet wurde, musste er ja auch in den übrigen Monaten einer Beschäftigung nachgehen. Wenn man Glück hatte, kannte man auch einen Berufsmetzger mit einer eigenen Metzgerei, der gegen geringes Entgelt die Hausschlachtung auch außerhalb seines Betriebes durchführte.
Die Vorbereitungen begannen schon Tage zuvor. Der Kessel, indem sonst die große Wäsche am Waschtag gekocht wurde, musste blitzblank gereinigt werden; alle erforderlichen Schüsseln und Eimer ebenso. Am Tag zuvor wurde noch Kuchen gebackten, denn viele Metzger zogen nach dem Schlachten Kaffee und Kuchen der Schlachtplatte vor. Innerhalb der Familie waren die Aufgaben klar verteilt, jeder wusste, was zu tun war.
Spezialausrüstung des Metzgers wurde am Tag zuvor mit dem Feldwägele oder dem 'Lannenkarch' bei ihm abgeholt. Dazu gehörte vor allem die Brühmulde, eine Art Badewanne aus Zink oder Holz, in welcher das tote Schwein mit heißem Wasser abgebrüht wurde, damit sich die Borsten besser lösten.
Auch der Messersatz des Metzgers gehörte dazu und auch die Wurstmaschine, die aber nicht elektrisch sondern von Hand betrieben wurde. Den Bolzenschussapparat, mit dem das Schwein betäubt wurde, brachte der Metzger aus Sicherheitsgründen erst am Schlachttag selbst mit. Auch der von der Gemeinde bestellte Fleischbeschauer musste verständigt werden, damit er am Schlachttag vorbeikam.
Am Schlachttag selbst herrschte schon in aller Frühe rege Aktivität, denn das Wichtigste war am Anfang jede Menge heißes Wasser und dazu musste der Kessel meist noch in der Nacht angefeuert werden, da es einige Stunden brauchte, eine so große Menge Wasser zum Kochen zu bringen. Die übrigen Utensilien wurden an den entsprechenden Plätzen gerichtet. Ganz wichtig war auch, das Schwein im Stall nicht durch allzu große Hektik und Lautstärke nervös zu machen, denn die sensiblen Tiere scheinen immer zu merken, wenn es ihnen an den Kragen geht und die Aufregung der Tiere wirkt sich auf die Qualität des Fleisches aus.
Wenn dann der Metzger eintraf, ging alles recht schnell. Meist waren nur er und der Hausherr in der Nähe des Schweinestalls, wenn das Schwein herausgelassen wurde. Der Metzger sprach beruhigend auf das Schwein ein, das im Hof herumschnüffelte. Wenn er es an der Stelle hatte, wo dann die weiteren Arbeiten verrichtet wurden, setzte er ihm den Bolzenschussapparat vorsichtig auf die Stirn und drückte ab. Das Schwein fiel betäubt um und zuckte meist kräftig mit den Hinterbeinen. Mit einem Strick wurde es mit einem Hinterbein an einen Pfosten gebunden und schon kam die Hausfrau mit einer großen Schüssel und einem Eimer, denn der Metzger setze nun schnell den Halsschnitt in die Hauptschlagader des Schweins, damit es ausbluten konnte. Das herausschießende Blut, das ja später für die Blutwurst oder den Roten Schwartenmagen gebraucht wurde, musste sofort kräftig gerührt werden, damit es nicht stockte und damit unbrauchbar geworden wäre.
Das ausgeblutete Schwein, in dem nun kein Leben mehr war, wurde jetzt von den Borsten gereinigt. Dazu kam es in die Brühmulde und wurde mit siedendem (um die 80°, keinesfalls aber kochend) Wasser übergossen. Mit einer Kette löste der Metzger zunächst die größten Borsten, indem er das Tier durch kräftiges Hin- und Herziehen der Kette sozusagen "abrubbelte". Danach erst begann die Feinarbeit: mit sogenannten "Sauglocken", den typischen runden, glockenförmigen Schabemessern wurde das Schwein abgeschabt und mit scharfen Messern wurde die Haut nachbearbeitet, damit jede Borste verschwunden war, denn die Schwarten wurden ja später auch benötigt. War diese schweißtreibende Arbeit beendet - und es gehörte zum Stolz jedes Metzgers, ein einwandfrei sauberes borstenloses Schwein weiter zu verarbeiten, bedurfte es noch einmal größerer vereinter Kraftanstrengung, das tote und saubere Tier an den Hinterläufen aufzuhängen. Dazu hatte der Metzger wiederum Spezialwerkzeug, eine Art Bügel, der durch die Sehnen geschoben wurden. Die Sehnen waren dann stark genug, das Schwein in hängender Position zu halten.
Nun öffnete der Metzger den Bauch des Schweines mit einem großen Schnitt und holte zunächst die Eingeweide heraus. Die Därme, die man für die Wurst brauchte, wurden entleert, gereinigt, umgekehrt und danach bis zum Gebrauch gewässert, ebenso der Magen und die Blase. Nachdem die Arbeit an den Innereien beendet war, zerteilte der Metzger das Schwein in zwei Hälften und begann mit der Zerlegung. Wichtig war es, den Kopf und die entsprechenden Wellfleischteile schon mal ins kochende Wasser zu geben, damit das Wellfleisch oder Kesselfleisch auch bis zum Mittag fertig werden konnte.
Danach machte sich der Metzger an die Zerlegung der beiden Schweinehälften. Hier wurden die Stücke bereitet, die zur Aufbewahrung gelangten, die Teile, die für die Herstellung der Wurst gebraucht wurden, auch die Vorbereitung der Schinken gehörte dazu. Mittlerweile war auch der Fleischbeschauer da gewesen, um aus bestimmten Teilen des Schweins Proben zu entnehmen und diese unter dem mitgeführten Mikroskop auf Trichinen zu untersuchen. Was alles in Ordnung - und das war meistens der Fall - bekam das Fleisch einen Stempel und war somit für die weitere Verarbeitung und den Verzehr freigegeben.
Metzger, Hausfrau und ihre Helferinnen (meist waren es eben die Frauen) machten sich in der Küche oder der extra gereinigten Waschküche, so man eine hatte, an die Schneidarbeiten, die einsetzten, wenn das Fleisch im Kessel gegart war. Hier entstanden die Teile des Schweins, die für den Verzehr aufbewahrt wurden; die Grieben für die Griebenwurst von denen ein Teil gleich angeröstet und für die Küche diente. Die Fleischteile für die Wurst wurden hier geschnitten, die dann später vom Metzger zur Weiterverarbeitung gemahlen wurden.
Der Metzger, der eine kleine Kaffeepause eingelegt hatte, machte sich dann sogleich an die Herstellung des Wurstteigs. Dazu wurden die geschnittenen Fleisch- und Fettstücke durch den Wolf gedreht (lange Zeit per Hand) und in großen Schüsseln zum Wurstteig verarbeitet. Das Sortiment war überschaubar: neben der Bratwurst wurde meist nur Blut- und Leberwurst sowie Schwartenmagen (weiß und rot) hergestellt. Man darf annehmen, dass aus diesem Bereich der alte Spruch für einen nicht besonders intelligent gehaltenen Menschen stammt: "Der weiß ja noch nicht einmal, dass der Schwartenmagen die größte Wurst ist!" Denn der Magen des Schweins hatte nun einmal von allen Därmen den größten Durchmesser und war somit die größte Wurst. Der überwiegende Teil der Masse wurde später in Dosen abgefüllt, denn die Haltbarkeit der Wurst in den Naturdärmen war zwangsläufig begrenzt. Der Teil für die frische Wurst kam in die Wurstmaschine, aus der der Metzger die Masse geschickt in die gereinigten Därme presste und in entsprechender Länge mit der Schnur abband. Bei diesem Arbeitsgang geschah es oft, dass der Metzger den anwesenden Kindern "ein Würstel anmaß", das bedeutete, dass er mit dem Finger ganz schnell etwas von dem Wurstteig ins Gesicht schmierte, was diesen natürlich gar nicht gefiel. Dies war also der lustige Teil des Schlachtfestes. Der Begriff Schlachtfest hatte durchaus seine Berechtigung, war es doch ein besonderer Tag für die ganze Familie; die Schulkinder bekamen dafür auf Antrag sogar schulfrei; dafür bekam der Lehrer meistens auch seinen Anteil an Naturalien vom Schlachtfest! Die Blut- und Leberwürste wurden abgebunden und wanderten, nachdem das Kesselfleisch schon verarbeitet war, in den Kessel mit siedendem Wasser. Die Beaufsichtigung dieser Wurst war eine Kunst für sich, denn es war verpönt, Würste durch zu heißes Sieden aufplatzen zu lassen, denn diese hatte man dann ja nicht für die Zeit danach mehr. Andererseits wurde die Wurstsuppe nur dann richtig schmack- und nahrhaft, wenn der Inhalt einiger aufgeplatzter Würste darin enthalten war. Es war also wichtig, eine wohlschmeckende Wurstsuppe zu erhalten, aber auch genügend Würste aus dieser für den späteren Verzehr zu retten. Es ist anzunehmen, dass darüber oft so manche Meinungsverschiedenheit ausgetragen wurde. Der Rest der Wurstmasse aus Rotem und Weißem Schwartenmagen, Bratwurstfüllsel, Leber- und Blutwurst warteten schon den Dosen auf den Spengler, der mit seiner mobilen Maschine vorbeikam, um die Dosen luftdicht zu verschließen. Diese kamen zum Schluss ins kochende Wasser des Kessels, wo sie mehrere Stunden vor sich hin sieden mussten. Mit einem Markiereisen waren die Dosen zuvor mit Buchstaben gekennzeichnet worden, damit man später auch erkennen konnte, welche Wurstsorte sie enthielten.
Für die Schmackhaftigkeit der Wurst war der Metzger zuständig, der die Mengen der Gewürze aus seiner Erfahrung bemaß. Natürlich durften auch der Hausherr und die Hausfrau probieren und so ist verständlich, dass sich die Wurst von Schlachtfest zu Schlachtfest in Geschmacksnuancen unterschied. Dass dies auch von Metzgerei zu Metzgerei so war, erklärt sich von selbst, denn jeder Metzger brachte seinen persönlichen Geschmack in die Wurstherstellung mit ein.
War die Wurst im Kessel und wurde dort gut beaufsichtigt, konnte sich die ganze Gesellschaft mehr den leiblichen Genüssen zuwenden. Die ersten frischen Bratwürste schmurgelten in den Pfannen, das Wellfleisch duftete, Schnut', Rüssel, Bäckchen und anderes Fleisch dufteten zusammen mit dem Sauerkraut von der Platte und oft war frisches Brot gebacken worden - ein Genuss für den wahren Kenner und die ganze Familie ließ es sich schmecken - bis manchmal auf den Metzger, der, der vielen Wurst überdrüssig, lieber ein paar Rühreier oder einen Kaffee und selbstgebackenen Kuchen verzehrte.
Bei all der Arbeit durften natürlich auch Nachbarn, Verwandte und Freunde nicht vergessen werden. Diese kamen vorbei, sofern sie nicht sowieso mithalfen, und bekamen ihre Milchkanne mit Wurstsuppe, ihre Brat-, Blut- und Leberwürstchen und oft auch eine Portion Wellfleisch mit nach Hause. Eine ältere Frau berichtete, dass bei ihnen immer zwei Schweine geschlachtet werden mussten, weil die Eltern an die große Verwandtschaft so viel verschenkten, dass die Vorräte zu knapp geworden wären.
Geschafft, aber zufrieden hatten sich die ehemaligen Schweinbesitzer am Abend nur noch um die Versorgung der Produkte zu kümmern; die Schinken mussten für einige Wochen in Salz eingelegt werden, bevor sie vom Metzger geräuchert wurden, die Dosenwurst musste versorgt werden und die Würste wurden in Keller oder Speicher aufgehängt - natürlich so, dass Ungeziefer, vornehmlich Mäuse oder gar Ratten, keine Chance hatten, dran zu gelangen.
Und da wie überall, nach dem Schlachtfest auch vor dem Schlachtfest ist, wurde schon geplant, wann man das nächste Ferkel für die Aufzucht erwerben wollte.
(Verfasser: Ulrich Kobelke)