Geschichten aus der Friedrichschule
Von Lehrern und Menschen / Aus der Schule geplaudert
Die Friedrichschule feiert ein Schulfest und erinnert an ihre Gründung vor 111 Jahren im Jahre 1895 – da kommen vielen Plankstädtern auch alte Erinnerungen an ihre eigene Schulzeit in den Sinn. Auch bei vielen anderen Gelegenheiten werden Erinnerungen an die eigene Schulzeit wach: bei der Einschulung von eigenen Kindern, Enkeln oder Urenkeln, natürlich bei den vielen Klassen- und Jahrgangstreffen und auch bei Beerdigungen von alten Schulfreunden, die leider häufiger werden, je weiter man im Alter fortschreitet.
Mit viel Erstaunen und oft auch Unverständnis beobachten heute Ältere die Entwicklungen im Schulwesen: was hat sich da nicht seit der eigenen Schulzeit alles geändert oder ist ganz verschwunden! Das reicht von den Lerninhalten über die Organisationsformen, den neuen Fächern und Fächerverbünden bis hin zu den Umgangsformen, die sich zwischen Lehrern und Schülern, aber auch zwischen Elternschaft und Schule entwickelt und verändert haben. Verblüfft, besorgt, entsetzt und erstaunt stellt man bei näherem Hinsehen fest, dass die Schule von heute nur noch wenig mit der Schule von früher zu tun hat. Man mag dies bedauern oder begrüßen – es ist wie es ist, jede Zeit hat ihre eigenen Ausprägungen und nicht immer wird beim ersten Blick sofort deutlich, was besser und was schlechter war und ist. Und wir dürfen auch ganz sicher sein, dass auch die heutigen schulischen Ausformungen und Gegebenheiten noch längst nicht der Weisheit letzter Schluss sind – die Geschichte lehrt uns dies deutlich.
Auch rein äußerlich hat sich viel geändert. Wer den Schulhof der Friedrichschule vor 50 Jahren gesehen hat (und so sah er viele Jahrzehnte vorher auch aus), wähnt sich heute an einem völlig anderen Ort! An der Grenze zu den Gärten der Eisenbahnstraße hin stand die alte Abortanlage – eine überdachte Holzkonstruktion, die erst nach dem Einbau der Toiletten im Gebäude Ende der 50er Jahre verschwand und mit ihr auch der „Duft“ aus dem Schulhof!. Der Hof war unbefestigt und grenzte an die Gärten an. Das Gebäude selbst war innen schmucklos, die 14 Klassenzimmer voll mit den damals üblichen Sitzbänken – nur manchmal schmückten besonders gelungene Schülerzeichnungen die Wände. Im Erdgeschoss wurde der Haupteingang flankiert von Schulamt und Lehrerzimmer (in ganz alter Zeit befanden sich hier Lehrer- bzw. Hausmeisterwohnungen), Räume, die von Schülern praktisch nie betreten werden durften. Unterm Dach war später neben der Hausmeister- und einigen Notwohnungen ein Handarbeitszimmer untergebracht. Die Lehrer hielten sich praktisch nie im Lehrerzimmer auf, sondern pflegten in den Pausen die kollegiale Unterhaltung in den Fluren des Gebäudes.
Als älterer Lehrer hat man heute natürlich den besten Einblick in die Entwicklungen zumindest des zurückliegenden halben Jahrhunderts.
Im Schulhof galt eine strenge Pausenordnung: die Kinder mussten zwei große Kreise, einen Bubenkreis und einen Mädchenkreis, bilden und die Hofpause gehend verbringen. Ein Lehrer und eine Lehrerin beaufsichtigten die Kreise und intervenierten bei jeglichen Auffälligkeiten, z.B. „stumpen“ oder „auf die Fersen des Vordermanns treten“ sofort mit den üblichen Maßnahmen, die sich meist in Ohrfeigen erschöpften. Ich erinnere mich an einen – heute namentlich nicht mehr bekannten – Lehrer, der die Eigenart hatte, erst ein wenig an der Backe zu ziehen, dann loszulassen und blitzschnell zuzuschlagen. Eine Chance zum Ausweichen blieb dem verdutzten Schüler kaum.
Beim Eintritt ins Schulhaus – für Schüler nur über die Hofseite – mussten die Schuhe am Fußabtreter gereinigt werden, eine Aktion die naturgemäß nicht die Zustimmung aller Schüler fand. Damit das Haus jedoch sauber blieb, stand am Fußabtreter der Hausmeister Alois Gund, von den Schüler unergründlicherweise „der Goofy“ genannt, und überwachte den Reinigungsprozess. Erwischte er einen, der sich die Schuhe nicht abstreifte, gab es „ääni ins Gnick wie emmä Stallhoas“, was bewirkte, dass man künftig automatisch ans Säubern der Schuhe dachte! – Auch hier hat sich viel geändert: seit 1977 wacht mit Erwin Gaa der „gute Geist der Friedrichschule“ über Gebäude, Lehrer(innen) und Kinder. Er, der stets ein offenes Ohr für alle Ratsuchenden hat, löst die zahlreichen kleinen und großen Probleme und erfreut sich überaus großer Beliebtheit. - Übrigens war die Friedrichschule immerhin 65 Jahre lang ohne Namen ausgekommen; erst durch den Bau der Humboldtschule wurde eine Differenzierung erforderlich. So entschied sich der Gemeinderat am 11. Januar 1960 für den Namen ‚Friedrichschule’ – eine Namenswahl, die sich durch die Lage der Schule geradezu angeboten hatte. Außerdem ist der frühere Großherzog von Baden auch ein würdiger Namensgeber.
In der Hofpause kam früher der Brezelmann, die „Gaa’s Mette“ und verkaufte im Schulhof Brezel und Mürbs an diejenigen Schüler, die kein Pausenbrot, dafür jedoch Geld dabei hatten. Nach dessen Tod übernahm diesen Verkauf seine Ehefrau als Zubrot zur Rente. Reich konnte man dabei sicher nicht werden! Später kam dann Kakao in den Tetrapacktüten dazu, die vom Hausmeister nach Vorbestellung verkauft wurden.
Schon unsere Großeltern und Eltern berichteten von Lehrern, die noch den alten Begriff „Schulmeister“ hätten tragen können. Mein Großvater erzählte viel vom Lehrer Georg Rabe, der erst in der Eisenbahnstraße, im sogenannten ‚Russenhaus’, dann später im Schulhaus selbst wohnte. Weil mein Großvater immer einen fröhlichen Gesichtsausdruck hatte, musste er häufig nachsitzen: „Der Eberwein mit seinem lächerlichen Gesicht, bleibt auch nach der Schule da!“ Der der Großvater jedoch wegen seiner kranken Mutter früh zu Hause mithelfen musste, bat dessen Vater den Lehrer, doch von solchen Strafmaßnahmen abzusehen, was meinem Großvater erneuten Spott des Lehrers Rabe eintrug: „Der Eberwein kann nicht dableiben, er muss nach Hause, seine Kartoffelschnitz’ kochen!“ Man hatte es offenbar als Schüler nicht einfach! Auch der Lehrer Hertel war für mich ein Begriff, obwohl ich ihn nicht mehr als Lehrer kennen gelernt hatte. Meine Mutter hatte andere „Favoriten“; so berichtete sie von einem, der Schüler, die keine Antwort wussten, mit den Worten „Setz‘ dich hin, du Sauidiot, Arrest nachher!“ abkanzelte. Überhaupt gehörten Bezeichnungen wie „Idiot, Hornochse, Rindvieh, Depp“ zum überaus aktiven Wortschatz der Lehrer. Das Kopfrechnen gehörte zur täglichen Übung und wer nicht schnell genug antworten konnte, der bekam den Rohrstock oder die Hand des Lehrers zu spüren. Bei den Mädchen, die vor 100 Jahren meist Schürzen trugen, führte dies häufig zum Verlust der Schürzenknöpfe. Die Stöcke der Lehrer, sofern es sich nicht um Rohrstöcke handelte, mussten oft von den Schülern selbst aus den Hecken an der Bahnlinie geschnitten werden.
Aber auch zu meiner Schulzeit herrschten noch strenge Sitten: Der Stock war bei den meisten Lehrern stets zugegen und eifrig wurde täglich von ihm Gebrauch gemacht: Wehe, einer wurde vor Eintreten des Lehrers von den vom Lehrer eingeteilten „Aufpassern“ bei Auffälligkeiten erwischt und an die Tafel geschrieben! Denjenigen, die an der Tafel standen, war immer entweder ein paar „Datzen“ oder eine Tracht Prügel aufs Hinterteil sicher. Aber auch die Aufpasser lebten nicht ganz ungefährlich, denn der Gerechtigkeitssinn der Klasse oder auch ganz gewöhnliche Rache forderten hin und wieder – oft natürlich nach Schulschluss – ihren Tribut!
Ein Lehrer pflegte sich bei Klassen, die er neu übernahm, mit den Worten vorzustellen: „Man nennt mich hier den ‚Schrecke’, ihr wisst, was das heißt, richtet euch danach!“ Ein anderer achtete sorgsam darauf, dass ihm bei Kindern, denen er verwandtschaftlich verbunden war, auf keinen Fall der Vorwurf der Bevorteilung gemacht werden konnte: diese Schüler hatten kein leichtes Leben! Wieder ein anderer dachte sich wirksame Strafmaßnahmen aus: so durfte sich ein Schüler, den er bei einem geringfügigen Vergehen erwischt hatte, eine geschlagene Stunde bei klirrender Kälte gegenüber beim Dr. Klehr an die Ecke stellen – immer im Blick des Lehrers – sozusagen ‚unter Aufsicht’ - und ohne wärmende Jacke natürlich!
Wie würde sich heute ein Pädagoge zu rechtfertigen versuchen, der als "vorbeugende Maßnahme" zur Disziplinierung sich die Zeit nahm, erst einmal die ganze Klasse mit dem Stock "durchzuschwarten", bevor er mit seinem Unterricht begann? Aus Schwetzingen wird von einem Lehrer berichtet, der, nachdem er die Schüler alle einzeln "übers Knie gelegt" hatte, mit bloßen Fäusten den Schrank im Klassenzimmer zusammenschlug, weil seine Wut nach der körperlichen Abstrafung der Schüler noch nicht ganz verraucht war. Bei diesen kollektiven Abstrafungen gilt es zu bedenken, dass natürlich in reinen Bubenklassen oftmals etwas härter hingelangt wurde als in Mädchenklassen oder gemischten Klassen.
Das 1976 in Kraft getretene Schulgesetz von Baden-Württemberg setzte der Herausbildung solcher Lehrer-Originale ein Ende. Von nun an gab es kein Anstaltsrecht mehr, sondern alles, was der Lehrer darf und nicht darf, wurde gesetzlich geregelt. Schule und Schüler traten in eine Rechtsbeziehung, die überprüfbar wurde. Das hatte mit Sicherheit den großen Vorteil, dass Auswüchse, die jeder aus seiner ureigenen Erfahrung noch kennt, nun nicht mehr möglich waren und im Bedarfsfalle auch disziplinarrechtlich geahndet wurden. Andererseits ging der Schule auch der Hauch der Originalität verloren und die Geschichten über die Lehreroriginale wurden seltener.
Im Jahr 1952 beklagt der Schulleiter der Friedrichschule, Rektor Ludwig Grimm, die Raumsituation an seiner Schule. Seinem Schreiben an die Gemeinde ist zu entnehmen, dass zu diesem Zeitpunkt 923 Kinder in 27 Klassen in 13 Klassenräumen von 17 Lehrern, 3 Geistlichen und 2 HHT-Lehrerinnen im Schichtunterricht beschult werden. Es gab auch Klassen, die sowohl am Morgen als auch am Nachmittag Unterricht hatten; wer da in der Siedlung wohnte, musste sich schon sputen, um rechtzeitig wieder zum nachmittäglichen Unterrichtsbeginn anwesend zu sein. – Heute gehen 191 Kinder in die Friedrichschule, die in derzeit 9 Klassen von 15 Lehrerinnen unterrichtet werden.
Bei der Einführung der 9. Klasse im Jahr 1965 war die Bevölkerung durchaus nicht einer Meinung. In einem Schreiben an die Verwaltung beklagte eine Elternvertreterin, dass sie ob des Tumultes bei der Bürgerversammlung im „Hotel Adler“ nicht zu Wort kam. Sie sei durchaus für die Einführung des 9. Schuljahres, sieht aber ernsthafte Schwierigkeiten auf die Schule zukommen, wenn die bereits „weit entwickelten Mädchen und die in nichts nachstehenden Jungen noch ein weiteres Jahr zusammen unterrichtet werden.“
So wird jeder, der die Schule besuchte, seine eigenen guten und weniger guten Erinnerungen haben. Auffällig ist jedoch, dass beim Schwelgen in alten schulischen Erinnerungen gerade die alten „pädagogischen Haudegen“ unterm Strich aber gar nicht so schlecht abschneiden, wenn es darum geht, zu ergründen, ob man bei denen „was gelernt“ hat oder nicht. Gerade wenn man selbst als Lehrer über Jahrzehnte seine Erfahrungen gesammelt hat, fragt man sich heute manchmal verwundert, wie man angesichts der damaligen schulischen Verhältnisse doch mit einem akzeptablen Grundwissen ausgestattet werden konnte – und alles ohne den immensen Aufwand, den heutige Schulen betreiben müssen. Darüber mag sich jeder so seine eigenen Gedanken machen.
UK